Wünsche an die Verkehrspolitik, 2021 Edition

Wir schreiben das Jahr 2021 und es herrscht große Freude: Das S-Pedelec ist endlich in der Gesellschaft angekommen! Durch vernünftige, pragmatische Lösungsansätze im Verkehrsrecht und steuerliche Anreize für die Fahrer steigen jeden Morgen immer mehr Menschen auf ein schnelles Pedelec, statt sich im Auto oder in den Öffis zur Arbeit zu begeben.

Man kann getrost von einer Win-Win-Situation sprechen: jedes Pendelauto weniger bedeutet auch weniger Stau in den Städten, die Umweltbelastung ist geringer und schlussendlich tut auch jeder einzelne Fahrer etwas für seine Gesundheit.

Ach nee, moment. Das war ja in Belgien.

In Deutschland wird nach wie vor am unliebsamen Status des S-Pedelec festgehalten, ganz nach dem Motto „warum etwas ändern, wenn es eh keiner fährt?“ Und natürlich wird dabei verkannt: wenn sich nichts ändert, fährt das auch weiterhin kaum jemand.

Ich möchte aber nicht immer nur meckern! Daher heute einmal kurz und knackig meine fünf Wünsche für die S-Pedelec-Verkehrspolitik, um das Verkehrsmittel S-Pedelec in Deutschland attraktiver, aber vor Allem auch sicherer zu machen:

1. Spike-Reifen müssen für S-Pedelecs zugelassen werden

Augen zu und durch!

Aus aktuellem Anlass: Das S-Pedelec gilt in Deutschland als KFZ. Und an KFZ sind keine Spikereifen zugelassen. Das hat bestimmt seine Gründe, jedoch wäre es sinnvoll, dem S-Pedelec durch seine konstruktionsbedingte Nähe zu Pedelec und Fahrrad ein Aufziehen von Reifen mit vernünftigem Glätteschutz zu erlauben.

Klar, einige Reifenhersteller haben auf die steigende Anzahl der Ganzjahresradler schon reagiert und Winterreifen mit speziellen, kälteunempfindlichen Gummimischungen im Angebot. Bestimmt haben die auch auf kaltnassen Fahrbahnen ihre Daseinsberechtigung. Aber einer vereisten Straße ist das relativ egal: hier helfen nur Spikes.

Aus meiner persönlichen Erfahrung: Wenn ich allein auf den bisherigen Winter 20/21 zurückblicke, hätte ich mit Spikereifen gut und gern eineinhalb Monate mehr pendeln können. Und ich bin da gewiss nicht allein.

2. Außerorts muss S-Pedelecs die Radwegmitbenutzung gestattet werden

Status Quo in D: Das S-Pedelec ist ein KFZ der Klasse „L1e-B“ und muss somit die Fahrbahn nutzen. Immer und überall. Das macht innerhalb von Städten durchaus Sinn: die Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Autos und S-Pedelec ist hier nicht so hoch. Außerdem sind Fuß- und Radwege meist deutlich höher frequentiert als außerorts.

Außerorts! Genau da besteht der größte Handlungsbedarf: Es ist schlichtweg ein enormes Risiko, mit 40-45 km/h auf der Landstraße unterwegs zu sein und von 40-Tonnern und >100km/h fahrenden PKW überholt zu werden.

Neben vielen Ortsverbindungsstraßen existieren mittlerweile asphaltierte Radwege. Während insbesondere zu üblichen Pendelzeiten auf der Straße ein erhöhtes Verkehrsaufkommen zu beobachten ist, herrscht hier zur gleichen Zeit meist gähnende Leere.

Hier wäre eine Nutzungslösung angebracht, die sich am belgischen System orientiert: ist die Geschwindigkeit auf der Fahrspur auf 50 km/h begrenzt, kann das S-Pedelec die Fahrbahn benutzen. Ansonsten ist der Radweg zu befahren.

3. S-Pedelecs müssen in Zügen befördert werden dürfen

Mal schnell in ein paar Minuten zum 15 km entfernten Bahnhof fahren, dort mit dem Zug in die Metropole rauschen und die „letzte Meile“ auch noch mit dem mitgeführten S-Pedelec überbrücken? Nicht mit der Deutschen Bahn! Ein S-Pedelec ist zwar genauso groß und schwer wie ein Pedelec, aber halt ein Kleinkraftrad und darf deshalb per Definition nicht mitgeführt werden. Ja, meine Güte, dann ändert eben die Definition! Das kann so schwer doch nicht sein, manche Regionalverbände haben es ja auch schon geschafft. Es wird Zeit, das auch bundesweit anzugreifen.

4. Helme mit der niederländischen NTA8776-Norm müssen als SPed-Helme akzeptiert werden

Es ist so affig wie banal: Wer in Deutschland auf einem S-Pedelec fahren möchte, hat die Wahl zwischen einem Integralhelm (dem klassischen „Motorradhelm“) oder einem Modell der Marke „Cratoni„, der einzig zu dem Zweck konstruiert wurde, einen Fahrradhelm auf den Markt zu bringen, der auch die Motorradnorm einhält.

Dabei wurde in den Niederlanden schon vor Jahren die Norm NTA8776 geschaffen, die strengere Parameter für Fahrradhelme, die auf S-Pedelecs getragen werden dürfen, beschreibt. Viele Hersteller haben diese Vorgabe bereits bei ihren Produkten integriert und so gibt es mittlerweile einige Helme auf dem Markt, die nach dieser neuen Norm zertifiziert sind.

Diese Norm auch in Deutschland für S-Pedelec-Helme zu akzeptieren, würde den Nutzern eine enorm größere Produktpalette bieten, um den eigenen Kopfschutz an die individuellen Bedürfnisse anzupassen.

5. kleinen Herstellern muss es leichter fallen, Abnahmen für Kleinserien oder Einzelstücke zu erhalten

Die Typengenehmigung, also das Zulassungsverfahren für ein S-Pedelec-Modell ist in Deutschland kein unaufwändiges Unterfangen – insbesondere finanziell. Dies hat eine wichtige Verbraucherschutzfunktion: auf diese Weise soll verhindert werden, dass unsichere Verkehrsmittel auf den Markt kommen.

Die Kehrseite dieser Medaille bedeutet jedoch, dass es sich insbesondere für kleinere Hersteller oftmals nicht rentiert, in ihr Portfolio noch ein S-Pedelec mit aufzunehmen.

In der Realität bedeutet dies: nur die größten Pedelec-Marken sowie eine Hand voll spezialisierter S-Pedelec-Schmieden können es sich leisten, auf dem deutschen Markt schnelle S-Pedelecs anzubieten.

Für den Verbraucher eine unbefriedigende Situation. Auf dem Weg, das ideale Verkehrsmittel für die eigenen Ansprüche zu finden, werden hier unnötig viele Steine in den Weg gelegt.

Auch für interessante Hersteller aus dem Ausland, z.B. Speedped, wäre ein vereinfachter Zugang zum deutschen S-Pedelec-Markt eine feine Sache – dann würde sich dies vielleicht auch trotz des erwartbar geringen Absatzes rentieren.

Sicherlich ist diese Liste nicht vollständig: Kaufprämien, Steueranreize oder die Herstellermöglichkeit, bestimmte Bauteile generell für die Verwendung bei S-Pedelecs zertifizieren zu können (bei Reifen mit dem ECE-R75-Prüfzeichen bereits geschehen) könnten die Popularität der schnellen E-Bikes bestimmt auch steigern.

Dennoch denke ich, dass sich die dringlichsten Baustellen bei der verkorksten verkehrsrechtlichen Lage in den genannten fünf Punkten widerspiegeln: Sowohl für Fahrer, die bereits mit dem S-Pedelec unterwegs sind, aber auch für Interessenten, die sich mit der potenziellen Nutzung dieses Verkehrsmittels befassen.

Ihr findet, ich habe einen wichtigen Punkt auf meiner Liste vergessen? Der Gedanke einer Radwegemitbenutzung für S-Pedelecs lässt euch apokalyptische Zustände für alle Verkehrsteilnehmer fürchten? Diskutiert in den Kommentaren mit!

Veröffentlicht von speeder's corner

Betreiber von speederscorner.com - Blog für S-Pedelec-Kultur in Deutschland. Hier schreibe ich über die allgemeine Situation aber auch meine persönlichen Erlebnisse mit dem schnellen Pedelec im ganzjährigen Pendeleinsatz.

11 Kommentare zu „Wünsche an die Verkehrspolitik, 2021 Edition

  1. Tja, deinen Punkten kann ich auch nichts mehr hinzufügen – die stimmen einfach!

    @IT-Onkel, an wen genau willst du diese Vorschläge weiterleiten? Ich würde auch ganz gerne mehr Öffentlichkeit für uns Speedbikers schaffen.

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    1. Hi,
      ich habe in HE Connections zu Abgeordneten der Grünen im Landtag. Denen ist das Problem vermutlich ebensowenig bewusst wie neulich der Zugbegleiterin, die noch nicht mal wusste, dass es S-Pedelecs gibt. In anderen Bundesländern hat es ja auch schon mit der Erlaubnis in Zügen geklappt. Steter Tropfen…

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  2. Mir fehlt hier noch die Forderung, einen (Kinder)anhänger ans S-Pedelec hängen zu dürfen wie es in der Schweiz gestattet und üblich ist. Meinetwegen auch mit mit verminderter vmax wie es bei Auto+Anhänger ist.

    Damit wäre es dann möglich, die Kinder 3km zum Kindergarten zu bringen und hernach die 20km zur Arbeit mit voller Geschwindkeit zu fahren. Wir sind als die Kinder im Anhängeralter waren daher meist mit dem Auto gefahren, obwohl wir lieber o.g. Kombi genutzt hätten, denn zwischen Kindergartenöffnung und Arbeitsbeginn lag nicht genug zeit für Fahrrad/Pedelec.

    Was die Radwegenutzung betrifft wäre ein pragmatischer Weg, dass der S-Pedelec Fahrer immer wählen kann welchen weg er nutzt, solange er Fahrweise und Geschwindigkeit so wählt, dass eine Gefährdung anderer Verkerhsteilnehmer ausgeschlossen ist. Es gibt ja auch genügend Radwege innerorts die gut genutzt werden könnten und ausserorts welche die überfüllt oder ansonsten gefährlich sind.

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    1. Volle Zustimmung zu allen Forderungen und die Transportproblematik treibt mich auch bisl um. Hatte auch schon Kontakt zu den Anhängerherstellern Hinterher und Weber Technik (unser Kinderanhänger ist – mit vielen Reparaturen – schon über 23 Jahre alt), die wollen sich aber – vorerst?- nicht mit Zulassungshickhack für Kupplung beschäftigen … Fahre seit Jahren bisher ohne Rüge mehrmals die Woche rum damit, wohler wär mir natürlich wenn erlaubt. Zur Zeit arbeite ich wenigstens an einer Lösung, dass ich zumindest ein Rück/Bremslicht habe (einen Verteiler hab ich schon, nur die Lampe steht noch aus, doch 3-adrige Lampe passte nicht zum 4 adrigen Anschluss usw.)

      Wer möchte sich zusammenschließen bzw. gibts schon eine Gruppe, um unseren Anliegen Gehör zu verschaffen?

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  3. Ergänzen würde ich auf jeden Fall die optionale Nutzung von Radwegen, vor allem auf Radtrassen, Emscherwegen und Kanalwegen. Bei angepasster Fahrweise zu den üblichen Pendlerzeiten kein Problem, zur Not auch mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung für alle Nutzer der Wege.

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