Radler, rast!

Mit seinem 850 Wh-Akku und der Antriebsstrang-Kombi aus Pinion und Gates-Riemen steht das Klever X-Speed Pinion gute 200 Wh vor der Konkurrenz. Heute wollen wir aber das etwas nach hinten versetzte Herzstück des SPeds, den „Klever BIACTRON V2“ Motor anschauen. Was kann er, wo sind die Stärken, wo die Schwächen? Natürlich hier an vorderster Stelle: Die Motorleistung. Da aber auch der stärkste Kollege das Nachsehen hat, wenn es an Hirn fehlt, bekommt die Motorsteuerung einen Großteil dieses Artikels zugesprochen.

Die Leistung

Disclaimer: Der Verfasser der Zeilen ist bis zum Klever Betatest knappe 10.000 km auf einem Mittelmotor geritten. Etwaige Euphoriestürme können die Objektivität der nächsten Zeilen beeinträchtigen.

Wie? Ach was! Das bekomme ich super hin. Allerdings sei mir ein „Wow!“ gestattet: Mit seinen 600W schiebt der BIACTRON V2 ohne große Mühe auf die beworbenen „echten 45 km/h“. Der Tacho eilt zwar etwa 3 km/h vor, zeigt aber einfach dementsprechend mehr an.

Gegenwind ist für den Biactron ein großes Thema. Hier merkt man schnell, dass der Motor ordentlich arbeiten muss. Bei Windgeschwindigkeiten um 40 km/h ist man hier gerne auch mal mit 30 Sachen unterwegs, während man auf der App beobachtet, wie der Akku leergesaugt wird. Mehr Leistung im Sinne des „ich-will-doch-nur-nach-Hause“-Faktors wäre hier manchmal wünschenswert. Aber was das für die wh/km bedeutet, steht natürlich auf einem anderen Papier.

Schiebt auch bei Mistwetter!

Das Gehirn

ääh, die Motorsteuerung

Man kann es gar nicht oft genug wiederholen: Ein Motor ist immer nur so gut wie seine Steuerung. Gerade im (S-)Pedelec-Sektor, wo die ständig variierende Tretleistung des Fahrers möglichst harmonisch verstärkt werden soll, wiegt das natürlich dreifach. Und hier zeigt sich dann auch die Achillesferse des X-Speed Pinion. Ein paar Sachen funktionieren nämlich noch überhaupt nicht so, wie es wünschenswert wäre:

  1. Die Gewichtung des Fahrer-Inputs

Nach nur wenigen Stunden Fahrzeit mit dem X-Speed war klar: Wie stark der Motor unterstützt, orientiert sich vornehmlich an der Kadenz und kaum an der aufgewendeten Tretkraft. Im normalen Betrieb, wenn man tritt wie bei einem Fahrrad, fällt das kaum auf. Allerdings ist es so, dass man selbst mit langsamem „Pseudopedalieren„, also dem Treten ohne Kraftübertragung aufs Hinterrad, bei voller Unterstützungsstufe vom Motor auf Geschwindigkeiten jenseits der 40 km/h geschoben wird. Hohe Unterstützung ist wichtig, keine Frage. Aber das fühlt sich dann doch recht weeeeird an.

  1. Das X-Speed denkt zu viel

Diesen Eindruck erhält man zwangsläufig nach den ersten dutzend Kilometern. Eine Sache, die nicht kritisch ist, mich aber in den sechs Wochen oftauf die Palme gebracht hat, nenne ich mal „die Denkpause“. Diese geschieht wie folgt: Man schüsselt entspannt mit 45 km/h durch die Gegend. Wenn man nun kurz das Treten einstellt oder die Bremse auch nur einen Sekundenbruchteil betätigt, wird die Maximalunterstützung erst einmal eingestellt. Selbst bei unmittelbar erfolgendem Weitertreten mit der gleichen Kraft und Kadenz dauert es bis zu 10 Sekunden, bis der Motor wieder seine maximale Leistung fährt. In dieser Zeit ist man zwar immer noch mit ca 40 km/h unterwegs, hat aber das Gefühl, kurzzeitig mit einem kleinen Bremsfallschirm zu fahren.

  1. Die viel zu sensible Tretunterstützung

Punkt 1 und 2 waren eher kosmetischer Natur. Aber hier wird es tatsächlich brenzlig. Das X-Speed Pinion reagiert nämlich sehr sensibel auf minimalste Bewegungen der Tretkurbel: Wenige Grad reichen bereits aus, damit der Motor die Unterstützung einsetzt. Eine schnell reagierende Ansteuerung ist ja generell wünschenswert. Aber hier reichen sogar Nuancen an Kurbeldrehung aus, die beispielsweise beim Durchfahren einer Kurve und der damit verbundenen Gewichtsverlagerung des Fahrers entstehen. Und kritisch wird es bei direkt aufeinanderfolgenden Rechts-Links-Fahrten: Der Kreisverkehr ist der natürliche Feind des X-Speed Pinion. Obwohl ich die Problematik kannte, hat es mich auf diese Weise sogar einmal selbst aus der Kurve in den Graben getragen (Ironischerweise bei „Graben“ im Lkr Augsburg. Höhö.) – der kleine Impuls beim Wechsel von der Rechtskurven-Einfahrt in die Linkskurve reichte aus.

Die gute Nachricht: Klever arbeitet hier an nem Fix und möchte das bis zur Auslieferung der ersten X-Speed Pinions beheben. Ich bin zuversichtlich, dass sie das auch schaffen. Falls ihr einer der ersten Glücklichen seid, die ein X-Speed bestellt haben, schreibt eure Erfahrungen gerne in die Kommentare!

Emissionen

Für Fahrer ab 45 Jahren dürfte der Motor tatsächlich lautlos sein (stichwort Presbyakusis). Alle anderen hören ab und an gerne mal das hohe Fiepen des Biactrons, wenn man beispielsweise parallel einer Mauer/Wand fährt. Ganz ruhig: Meckern auf allerhöchstem Niveau – in der Praxis sicher für die meisten Fahrer irrelevant.

Die Temperaturen des Motors kann man in der App gut kontrollieren. Nach etwa einer Stunde Fahrt auf voller Last (in der Ebene; am Berg und bei Gegenwind sicher schon früher) knackt der Motor die dreistelligen Temperaturen. Kritisch wird es allerdings dadurch nicht, der Bicatron schiebt trotzdem ohne Gnade weiter. Die Leistung wird irgendwann im höheren Temperaturbereich zwar zurückgenommen. Erreicht habe ich diese Sicherheitsmaßnahme in den sechs Wochen jedoch nicht.

Fazit

Der Biactron V2 des X-Speed Pinion ist mit seinen 600W ausreichend dimensioniert, um bei einem Streckenprofil ohne viele Steigungen einen Schnitt jenseits der 40 km/h zu fahren. Bei stärkerem Gegenwind und auch in bergigeren Gefilden hat er zwar Mühe die 45 km/h zu halten, aber hier spielt natürlich die individuelle Strecke eine große Rolle. Wem die Leistung zu gering ist, der kann auf das 2021er-Modell warten, welches mit einem stärkeren Motor und größerem Akku auf den Markt kommen wird und die Lücke zu den starken Stromer-Modellen weiter verkleinert. Für einen großen Teil der Fahrer ist die 600W-Variante aber ohne Frage vollkommen alltagstauglich.

Nachholbedarf besteht unbestritten bei der Programmierung der Motorsteuerung. Je stärker die Unterstützung gewählt wird, desto merkbarer treten o.g. Punkte zu Tage. In den meisten Fällen nimmt man dies als unnatürliche Charakteristik wahr, aber teilweise wirkte sich dies beim Testmodell auch auf die Fahrsicherheit aus. Ich bin auf die Softwareanpassung und die Erfahrungsberichte der Erstkäufer gespannt!

Veröffentlicht von speeder's corner

Betreiber von speederscorner.com - Blog für S-Pedelec-Kultur in Deutschland. Hier schreibe ich über die allgemeine Situation aber auch meine persönlichen Erlebnisse mit dem schnellen Pedelec im ganzjährigen Pendeleinsatz.

4 Kommentare zu „Radler, rast!

  1. Ich habe bei meinen beiden Pedelecs / S-Pedelecs jeweils die Startzeit des Motors extrem kurz eingestellt – ich kenne daher das Phänomen des plötzlichen Leistungseinsatzes. Bei meinem S dann auch mal gerne mit 1200-2000 Watt. Das kann heikel sein, wenn man sich aber daran gewöhnt in Wechselkurven oder Kreisverkehren RÜCKWÄRTS zu treten hat man keine Unterstützung und hat das kurveninnere Pedal trotzdem oben.
    Durch die kurze Startzeit fühlt sich aber der Motor viel natürlicher an – er schiebt nicht verzögert, aber heftig los.

    Was mich wundert: Einerseits dauert es 10 Sekunden, bis die Leistung voll da ist, andererseits reicht die geringe Leistung zum Ritt in den Graben? Da kann ja nicht mehr viel Reserve da gewesen sein :-p

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    1. Hey Philipp, den Rückwärtstret-Workaround habe ich während der Testzeit auch genutzt, wenn es um die Pedalstellung ging. Es geht aber nicht um das Umpositionieren der Pedale, sondern um minimale Drehungen, die durch die Veränderung der Fahrerposition bei der Verlagerung des Schwerpunktes entstehen. Da hält gerade in Re/Li-Kombinationen niemand 100% die Pedale still. Und das interpretiert die Steuerung teilweise schon als „ich muss Schub geben“. Und klar – natürlich liefert der Motor daraufhin keine volle Leistung, nur einen kleinen Impuls. Man tritt ja nicht drauf los, merkt das System ja selber. Trotzdem ist es ein Schubser in die falsche Richtung.

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